AAA - Urbaner Spaziergang Dokumentation „Schiffe, Schrauben, Wale fangen – auf Wellen gebaut“ - Sonntag, den 31.05.2015

18.06.2015

Auf Einladung des Energiekonsens Bremen und bauraum Bremen e.V. trafen sich am Sonntag, den 31. Mai 2015 fast 50 Personen von jung bis alt zu einem Urbanen Spaziergang mit dem AAA durch Vegesack. Vom Treffpunkt am Vegesacker Bahnhof ging es zunächst ein kleines Stück weiter zum BSAG-Kundencenter auf dem Bahnhofsvorplatz. An diesem, entfernt an gestapelte Bücher erinnernden Gebäude, verwies Ulrich Pollkläsener vom Energiekonsens Bremen auf die den Platz umgebenden Gebäude, wie die Grohner Düne und das Haven Höövt, um exemplarisch Zusammenhänge zwischen Klimaschutz und der Entwicklung von Baumoden zu erläutern.
Ein Stückchen weiter, an zwei Bronzefiguren mit Fernglas von Thomas Recker, erläuterten Dipl.-Ing. Oliver Hasemann und Dipl.-Ing. Daniel Schnier vom AAA die jeweils für ihre Zeit typischen Entstehungsgeschichten dieser umliegenden prägnanten Bauwerke. Besonders die 1973 fertiggestellte Grohner Düne mit ihren bis zu 16 Etagen erfuhr dabei besondere Aufmerksamkeit, sahen die ursprünglichen Pläne doch noch vor, das Gebiet bis zum Hafenhaus mit einer ähnlich dichten Bebauung auszustatten. Bürgerproteste verhinderten schon damals, dass der dritte Bauabschnitt der Grohner Düne gebaut wurde, wodurch auch von Planungen für ähnliche Bauwerke in Vegesack seitens der Verwaltung und Politik Abstand genommen wurde, da die vorher prognostizierten Einwohnerzahlen Bremens abebbten.

Anschließend ging es am momentan insolventen Einkauf-Center Haven Höövt vorbei, entlang am Schulschiff Deutschland zur kleinen Brücke zum Verwaltungsgebäude der Lürssen Werft. Mit einem guten Blick auf den Alten Hafenspeicher und das Haven Höövt begann eine intensive Diskussion unter den Spaziergängern über die Vor- und Nachteile, die das inzwischen zur Hälfte leer stehende Einkaufszentrum für Vegesack und Bremen mit sich brachte. Anschließend wurde auf die Geschichte der Hafen- und Werftanlagen Vegesacks eingegangen, immerhin ist hier das älteste künstliche Hafenbecken Deutschlands zu finden, gebaut 1622/23 mithilfe holländischer Spezialisten.

Über die Drehbrücke wurde das Hafenbecken Richtung Utkiek überquert. Dort angekommen wurde nicht nur das Havenhaus in Augenschein genommen wurde, sondern auch die vielen Kronkorken am Utkiek. Einige Spaziergänger mutmaßten, dass es sich beim Utkiek um den Ort handelt, an dem unverheiratete Vegesacker zum 30sten Geburtstag fegen müssen, andere sahen darin Vorbereitungen von Jugendlichen auf das Vegesacker Hafenfest. In einer kleinen Schleife ging es danach zum Vorplatz des KITO, den Gebäude verschiedener Epochen umfassen. Für Ulrich Pollkläsener waren besonders die Backsteingebäude aus den 80ern auffällig, da die heraustragenden gegossenen Betonböden der Balkone, als Wärmebrücken, dem Haus ziemlich stark Wärme entziehen und damit nicht mehr heutigen Energiestandards entsprächen. Wiederum entstand unter den Spaziergängern eine vielschichtige Diskussion, diesmal über den Erhalt von Altbauten am Beispiel des Ladens 38. Der Konflikt, historische Bausubstanz erhalten und gleichzeitig energetisch sanieren zu wollen, ist häufig auch eine Kostenfrage. Sowohl den Erhalt als auch die Sanierung würden viele der Spaziergänger begrüßen, andere würden Rekonstruktionen nach historischem Vorbild entsprechend den aktuellen energetischen Standards favorisieren.
Einige kleine Gassen führten die Menschenmassen anschließend in die Vegesacker Fußgängerzone mit dem berühmten Blauen Band, dass Einwohner, Besucher und Touristen (nach Ladenschluss) in die lokalen Geschäfte leiten soll. Besonders im oberen Bereich der Fußgängerzone in der Gerhard-Rohlfs-Straße sind die Lichter des Bandes häufig aus, da sie nicht mit dem Zuliefererverkehr des Grünmarktes kompatibel zu sein scheinen. Seit 2003 hat sich Vegesack dieses Band etwa eine halbe Million Euro kosten lassen (Bauen, Reparieren, Stromkosten) und konnte dadurch seine überregionale Bekanntheit deutlich steigern, unter anderem berichtete auch das Satiremagazin Extra3 des NDR davon.
Eine weitere Ungewöhnlichkeit der Vegesacker Innenstadt offenbart sich erst, wenn man die Fußgängerzone verlässt und zum Beispiel die Parallelstraße Vegesacker Rampe betritt. Diese Straße dient dem Ladeverkehr der Fußgängerzone, rückseitig gelangen Zulieferer so zu den Geschäften im Erdgeschoss. Für eine Innenstadt ist die Gegend äußerst locker bebaut, an der Vegesacker Rampe sind äußerst viele Parkflächen vorhanden, wodurch die Innenstadt trotz der Fußgängerzone äußerst autogerecht wirkt. Die Bebauung zur Fußgängerzone ist hingegen geschlossen und meist mindestens dreigeschossig.

Die Straße führte die Spaziergänger weiter zur Rückseite des neu umgebauten und sanierten Gustav Heinemann Bürgerhauses Vegesack, wo der Kinderzirkus Tohuwabohu seit einiger Zeit in einem öffentlich gelegenen runden Theater proben kann. Die Fläche wird auch noch für weitere Aktivitäten genutzt, als öffentlicher Open Air Proberaum und als Treffpunkt für Jugendliche. Er dient somit auch der Integration von jungen Menschen in den öffentlichen Raum und fördert ihre Teilhabe am gesellschaftlichen Leben. Besonders die Akustik bestach die Spaziergänger hier, baulich wurde der Verkehrslärm geschickt abgeschirmt.

 Abschließend ging es auf den Sedanplatz mit seinen zahlreichen Attraktionen. Zur Aufwertung der Innenstadt gegenüber dem Haven Höövt entwickelte die Albrecht Vermögensverwaltung die Idee einer Markthalle am Sedanplatz und schaffte somit ihr eigenes Konkurrenzprodukt, war die AVW doch auch schon beim Haven Höövt als Bauherr tätig. Die Stadt übernahm bei der Markthalle mit zunächst 1,9 Millionen Euro etwa die Hälfte der geplanten Gesamtbaukosten. Die angedachten Nutzer der Halle, die Anbieter des Grünmarktes, stellten sich schon vor Baubeginn gegen das Projekt, sodass der Nutzen der Halle dem gemeinen Bürger zunächst verborgen blieb. Dennoch wurde das Projekt 2007 umgesetzt. Abgesehen von kurzzeitigen Nutzungen, beispielsweise durch einen Supermarkt oder den Zirkus Tohuwabohu während des Umbaus des Bürgerhauses, steht der Großteil der Fläche fast durchgehend leer, sodass sich der Nutzen der Halle wohl auch im Nachhinein niemandem erschließt. Die nächste Attraktion ist wohl der ABC-Bunker aus den 1970er Jahren einige Meter unter dem Sedanplatz. Dieser Bunker sollte Schutz für insgesamt 4000 Menschen bieten und diese im Ernstfall 14 Tage versorgen können. Genutzt wurde der Bunker glücklicherweise nie, ganz im Gegensatz zum etwa 20 Meter langen Verbindungstunnel von der Tiefgarage zum ehemaligen Kramer-Haus, wo heute das Stadthaus Vegesack beheimatet ist. Immerhin zu den üblichen Geschäftszeiten steht jedem die Benutzung des Tunnels offen, bei unserem Besuch am Sonntag konnten wir ihn aber nur von außen betrachten, womit der Urbane Spaziergang in Vegesack sein Ende fand.

Abschließend fasste eine Teilnehmerin die Situation vor Ort passend zusammen, als sie sagte: "Soviel, wie hier schief geht, merkt man doch, dass Vegesack zu Bremen gehört."