Horner Stadtbild im Umbruch, Weser Kurier, 17.09.2015

23.09.2015

Vom Landhaus zur Stadtvilla
VON KRISTINA BELLACH

Horn-Lehe. Was einst als schön galt, ist heute verpönt, ehemals Abgewertetes ist wieder gefragt. Vieles ist einfach eine Mode, und so ist es in der Architektur und Stadtplanung nicht anders. Wie der Wandel im Ortsteil Horn vonstattengeht, zeigten nun Oliver Hasemann und Daniel Schnier vom AAA - Autonomen Architektur Atelier bei ihrem Spaziergang unter dem Titel „Urbanisierung reloaded – vom Landhaus zur Stadtvilla“.

Erwartungsvoll schaut die Gruppe von rund 60 Leuten die Referenten beim Treff an der Ecke Horner Heerstraße/ Marcusallee an. Wohin die Route führt, ist geheim, nur Stadtplaner Hasemann und Architekt Schnier wissen es. Der Spaziergang, in Kooperation mit der Klimaschutzagentur Energiekonsens, hat seine Horner Prämiere. „Wir machen das seit neun Jahren, aber hier waren wir noch nie“, gibt Hasemann zu. Das Thema Urbanisierung sei jedoch gerade in Horn spannend: „Erst lag Horn als Bauerndorf vor der Stadt, das Moor ist mühsam urbar gemacht worden. Dann kamen die Sommerfrischler und repräsentative Wohnsitze wohlhabender Bürger. Mit steigender Mobilität zogen so immer mehr Menschen nach Horn.“

Hasemann zeigt einen speziellen Aspekt des Ortsteils auf: „70 Prozent der Häuser in Bremen sind Reihenhäuser, Villen gibt es besonders in Horn.“ Direkt hinter dem Architekten ragt am Beginn der Marcusallee eine hellgelbe, von Bäumen umstandene alte Villa mit grünen Fensterläden auf. Sie ist eines der hier (noch) häufig anzutreffenden Symbole für Status, für das Ideal des ländlichen Lebens, für die, die es sich leisten konnten, der verschmutzen, industrialisierten Stadt zu entkommen. „Bei Villa und Landgut ging es aber nicht um Landwirtschaft“, klärt Hasemann auf, „sondern darum, gestaltete Natur zu schaffen, die natürlich aussieht – als Kontrapunkt zur Stadt.“

Auf der gegenüberliegenden Straßenseite steht ein Betonbau aus den Fünfzigern mit großer Fensterfront. „Wir stehen hier an einem geschichtsträchtigen Ort“, erklärt Schnier, der sich „eher als den Handwerker“ beschreibt. Dazu kommt ein ausgeprägtes Interesse für Gesellschaft und Politik. Erbaut von einem berühmten Architekturbüro aus Chicago, diente das Gebäude Mitarbeitern des amerikanischen Generalkonsulates. „Es steht seit sechs Jahren unter Denkmalschutz, heute ist es eine Seniorenresidenz mit Neubau im Innenhof.“

So geht es weiter durch Horn: „Folgen Sie mir unauffällig“, fordert Schnier, der mit schwarzer Cordhose und kräftigem Bart wie ein Zimmermann anmutet, die Gruppe auf. Nächster Stopp ist das Borgward-Haus, ein ehemaliges Landgut von anno 1750, das nun entkernt an der Horner Heerstraße auf den Einzug von neuen Mietern auf Büroflächen wartet. Hier mischt sich Ulrich Pollkläsener von Energiekonsens ein, der darüber aufklärt, wie sich alte, vor allem denkmalgeschützt Häuser fit machen ließen für die heutige Zeit.

Über die Horner Grundschule, die ehemals zunächst Mädchenwaisenhaus, dann Wohnheim für Kinder von Binnenschiffern und Schaustellern war, geht es in den rechten Arm der gabelförmigen Ronzelenstraße. Dort entstand vor nicht allzu langer Zeit eine neue Wohnanlage, eine der sogenannten Stadtvillen. „Entree“ nenne sich der beige Block mit den braunen Balkon-Terrassen, erzählt Schnier. „Das ist eine Staffelgeschossvilla mit insgesamt sechs Einheiten mit jeweils 120 bis 200 Quadratmeter. Vom Kostensegment her ist das sehr hochpreisig.“

Die klotzartigen Villen mit Wohneinheiten seien ein Merkmal für die Reurbanisierung, meint Hasemann. „Die, die mal vor die Tore der Stadt gezogen sind, kehren nun zurück.“ Die Mehrparteien-Stadtvillen ersetzten alte Landgüter. Das sei eine Art zweite Urbanisierung, das Ortsbild werde immer städtischer.

Die Referenten sind sich einig: Wenn der Zuzug vom Land in die Stadt anhält, würde eine Verdichtung und Verstädterung in Horn stattfinden müssen. „Das ist eine reine Kostenfrage. Kanäle und Leitungen, alles an einem Fleck zu haben, verursacht geringere Kosten pro Kopf.“

Ein weiteres Zeichen für den Wandel der Zeiten findet sich im anderen Arm der Ronzelenstraße: die Gagfah-Siedlung. War sie in den Dreißigern ein Ort, der weniger betuchten Bürgern erlaubte, Eigentum zu erwerben, sind die Häuser heute zum Prestige geworden. „Ein Haus kostet jetzt 280 000 Euro, unsaniert“, so Hasemann.

„Folgen Sie dem Mann mit dem Schirm, er ist sympathisch“, sagt Schnier und marschiert Hasemann hinterher durch einen kleinen Stichweg in die Berckstraße. Hier zitiert ein großes Plakat, das ein weiteres Bauprojekt für Stadtvillen bewirbt, Mark Twain: „Gib jedem Tag die Chance, der schönste deines Lebens zu werden.“ Wo da die Verbindung zum Wohnprojekt sei, fragt ein Herr. „Das ist fehl am Platz. Die Dinger sind doch völlig austauschbar“, meint eine Dame. Das Plakat für den Neubau, der die ältesten Häuser Horns ablöst, ist nur eine der Ironien, die Horn städtebaulich bietet. Eine andere finde sich im „Mühlenviertel“, der den ehemals ländlichen, stetig schwindenden Charakter im Namen festhält. „Das ist total positiv besetzt. Man hätte es aber auch ‚Quartier an der Autobahn‘ nennen können, aber wer wollte dann da hinziehen?“, fragt Hasemann. Nachdenklich stimmt dieser Trend einige Teilnehmer. „Vieles finde ich spannend, wie sich das Zentrum Horns mit dem Mühlenviertel verlagert“, meint Jochen Behrendt am Ende des Spaziergangs. Die Verstädterung sieht der Horner „eigentlich positiv. Aber es macht mir ein bisschen Sorge, dass das Stadtbild unter den Stadtvillen leidet. Das ist immer die gleiche Bauweise in jede Lücke. Da denk ich, dass was verloren geht“. Schöner sei es, wenn man wie bei der „Schildkröte“ am Lehester Deich den Stil des originalen Gebäudes einigermaßen beibehielte.

Gut von dem Expertenduo unterhalten geht Birgit Neubert-Fietz nach Haus: „Das war sehr kurzweilig. Allerdings hätte ich mir konkrete Beispiele gewünscht, wie alte Häuser energetisch saniert wurden.“ Auch Informationen über die Historie der Objekte – solche, die man noch nicht nachgelesen habe – vermisste sie: „Es hat schon Spaß gemacht. Aber dabei war nicht viel Neues für jemanden, der hier aufgewachsen ist.“

(c) Weser Kurier, 2015, Bremer Tageszeitungen AG, Martinistraße 43 28195 Bremen